Falkenwelds dunkle Nacht
„Feuer! Rettet euch!“, gellte ein schneidender Schrei über die Burg Falkenweld. Die Herzogin lag aufgeschreckt in ihrem Bett. Ihr Blick glitt zu ihrem neugeborenen Kind hinüber. Sie hatte vor sechs Stunden ein kräftiges Mädchen entbunden und war glücklich in die Kissen zurück gesunken als sie es lebend in die Arme geschlossen hatte. Endlich hatte sie ihre Aufgabe erfüllt und dem Herzog Kasto von Falkenweld ein lebendes Kind geboren. Eines, das das Erbe derer zu Falkenweld fortführen konnte. Wenn es auch nur ein Mädchen war, wie Kasto mit verzogener Miene feststellte.
„Nur ein Mädchen, seid ihr verrückt“, murrte die Hebamme. Doch Kasto hatte ihre Worte gehört.
„Was mischt du dich in die Dinge ein, die dich nichts angehen, Weib. Dein Dienst an der Herzogin ist zu Ende. Pack‘ dich, sofort“, warf ihr Kasto zornig entgegen.
„Es lebt, euer Kind, Herzog. Seht es von dieser Seite“, entgegnete sie dem riesigen Mann, der sich lieber einen Sohn gewünscht hatte. „Ihr habt in den letzten vierzehn Jahren noch kein Kind lebend von eurer Frau geboren bekommen. Nun ist die Nachfolge auf Falkenweld gesichert und eurer Neffe muss sehen, wo er sich betten kann, wenn er alles Geld seiner Eltern versoffen und verhurt hat und wieder kommt, um euch zu beerben. Ein feiner junger Mann ist er. Einer ganz nach eurem Geschmack. Doch ihr müsst ihn nun heim schicken. Ihr habt nun eine Erbin. Ob euch das gefällt oder nicht. Seht nun zu, dass ihr geht und die Brände löscht, damit noch etwas zum Vererben da ist für eure Tochter, der zukünftigen Herzogin von Falkenweld, mein Herr“, setzte die wütende Hebamme hinzu. Sie sah in das zornentbrannte Gesicht des Mannes, dessen aufschäumende Wut im ganzen Land bekannt war. Der Zorn überwältigte Kasto von Falkenweld. Hätte nicht die Burg in Flammen gestanden, Weda hätte diese Nacht nicht überlebt. Er hielt die Hand nach einem kurzen Zucken zurück, als ein Diener zur Türe hereinstürmte. Gut so, dachte Weda, sonst hätte ich den Hieb aushalten müssen, den meine Worte herausgefordert haben. Kasto sah sie wütend an und ging. Noch aus den Augenwinkeln sah sie Kasto einen letzten mürrischen Blick auf das Lager seiner Frau werfen. Doch Weda macht sich frei von Kastos Wut. Als sie die Herzogin anblickte, wusste Weda, dass die Wöchnerin diesen Blick gesehenen hatte. Sie erstarrte unter ihm. Weda richtete freundliche Worte an sie, damit sie so schnell wie möglich Kasto vergaß.
„Soll er gehen, Herrin. Er hat heute Nacht noch eine Aufgabe. Er muss sein Erbe retten. Ihr solltet euch langsam anziehen und das Schloss verlassen. Euer Kind ist in Gefahr.“ Sie trat auf die schwache Frau zu und half ihr aufzustehen. Als die Herzogin kurz stand, sank sie geschwächt in die Federn zurück.
„Ich schaffe es nicht, Weda“, sagte die Herzogin erschöpft. Weda, die Hebamme, schüttelte den Kopf. Sie ging an das Bett des Säuglings, der ruhig schlief und kniff ihn. Erschreckt schrie das Mädchen auf und seine Stimme jagten der Mutter Schauer über den Körper.
„So wird es schreien, wenn ihr es nicht aus der Burg hinausführt. Ihr müsst fliehen“, sagte Weda eindringlich und packte die Mutter am Arm. Sie zog sie aus dem Bett und half ihr sich anzuziehen. Nur ein Unterkleid, das musste reichen. Dann wickelte sie das Kind in eine Decke und hielt es auf dem linken Arm. Die Herzogin indessen griff sie mit ihrer rechten Hand und zog sie hinter sich zur Türe hinaus. Sie liefen langsam aber beständig den Flur entlang, bis sie zu der Treppe kamen, die die Herzogin zögerlich musterte.
„Das schaffe ich nicht, Weda“, sagte sie verzweifelt. „Nehmt das Kind und geht ohne mich.“
„Den Teufel werde ich tun, Frau. Ich lasse meine Wöchnerinnen nicht zurück. Selbst wenn es Herzoginnen sind“, stellte Weda verärgert fest. Ihr Blick streifte die Augen der Herzogin, die sich ein Lächeln abzwang und nach einem tiefen Seufzen folgte sie mit schwerfälligen Schritten der Hebamme. Sie kamen nach unten in die Halle, in der die Diener geschäftig hin und her liefen. Sie hatten von Herzog Kasto die Anweisung erhalten, alle Wertgegenstände auf den Hof hinaus zu bringen.
„Was soll das“, rief Weda. „Lasst alles stehen und liegen und rennt um euer Leben. Am besten lauft ihr hinaus aus der Burg, vor die Wassergräben, dort seid ihr sicher“, rief sie und schob eine junge Magd zur Türe hinaus. Alle hielten erstaunt inne und sahen auf die Herzogin, die mit blassem Gesicht und ernster Miene auf der Treppe stand.
„Ihr habt Weda gehört. Lasst den Kram liegen und flieht. Euer Leben ist wichtiger.“ Die Diener verharrten noch eine Sekunde und liefen dann sofort los. Ein älterer Diener ging die Treppe hoch zur Herzogin und griff sich ihren Arm.
„Kommt, Mylady, ich stütze euch. Wir werden gemeinsam überleben.“
Die Herzogin lächelt. Als Weda mit dem Kind aus der Tür hinauslief, sah sie noch den Alten mit der Herzogin die große Halle Falkenwelds verlassen. Draußen jedoch schimmerte der Himmel rot glühend. Er warf die flackernden Lichter der Flammen zurück und der Himmel schien ebenso zu brennen wie die Burg Falkenweld. Weda lief mit dem Kind weiter über den hell erleuchteten Platz zum Burgtor. Sie sah hinter sich den Diener, der die Herzogin herausführte und war zufrieden. Ihre Freundin Telja, die Köchin, stand dort. Sie hatte sie heute Abend rufen lassen, als die Herzogin und eine bratanische Dienerin in den Wehen lagen. Jetzt lief sie mit ihrem Gesinde und einigen Küchengeräten zum Tor hinaus. Sie rannten alle und Weda drehte sich ein letztes Mal nach der Herzogin um. Da sah sie, wie Herzog Kasto seine Frau am Arm zog und mit ihr auf die Stallungen zulief. Sie erreichten den Stall zügig und verschwanden schließlich dort im seinem Inneren.
„Nimm du das Kind, Telja“, sagte sie nervös und übergab der Köchin das Mädchen. Sie selbst lief zum Diener, der langsam zu Tor kam.
„Was ist geschehen“, fragte sie ihn atemlos. Der Diener stand staunend vor ihr und starrte entsetzt auf das rote Inferno, die hinter ihm innerhalb der Burgmauern ausbrach.
„Kasto hat sie einfach von mir weggerissen“, stammelte er und schüttelte den Kopf. „Sie wird zu schwach sein, um noch vor dem Feuer davonzulaufen. Wie soll es nur gehen? Was will dieser herzlose Mann von ihr? Sie ist so gut. Sie hat diesen Tyrann nicht verdient“, sagte er. Doch Weda ließ nicht locker.
„Wozu hat er sie geholt? Sprich endlich“, herrschte sie den Diener an, der sich zusammenriss und sie schließlich direkt ansah.
„Sie soll sich die Stallung ansehen und mithelfen, wenn das Feuer übergreift. Es sei ihre Pflicht als Herzogin“, sagte der Diener und traute seinen eigenen Worten nicht, die jedoch die selben waren, die der Herzog gebraucht hatte. Weda runzelte die Stirn.
„Was hat er vor, der Hund“, murmelte sie. Dann sah sie den Alten.
„Geh und komme erst wieder, wenn alles vorbei ist. Ich werde laufen und versuchen, die Herzogin herauszuholen.“ Weda sagte kein Wort mehr und lief zu den Stallungen der Burg.
„Mach das nicht, Frau“, rief der Alte. Doch als er mehr sagen wollte, nahm ihm die rauchige Luft den Atem. Er stutzte, kehrte um und lief zum Tor.
Weda hatte den Platz bald überquert und erreichte die Tür der Stallung. Sie hörte den Herzog und die Herzogin darin streiten.
„Ich will, dass du da bist, Frau, wenn das Feuer kommt. Wir werden nicht weglaufen wie die erbärmlichen Diener, die du hinaus geschickt hast aus der Burg, damit sie ihr Leben retten“, rief Kasto und griff die Herzogin fester am Arm, als sie fliehen wollte. „Du bleibst und wirst nun mutig sein.“
„Lasst eure Frau gehen, Herr“, sagte der Verwaltern, der mit den Männer kam, um den Stall zu sichern. Er sah Weda herumstehen und schickte Burschen mit Wasserkübeln auf das Dach des Stalles, um es zu nässen. „Wir sollten jetzt gehen. Weda, die Hebamme, hat recht. Der Stall ist nicht mehr sicher.“ Er schickte Weda weg, um seine Arbeit erledigen zu können. Doch Kasto stand wie ein Fels in der Brandung und ignorierte den beißenden Brandgeruch, der seiner Frau den Atmen nahm und sie zu Hustenkrämpfen zwang. Kasto sprach weiter, doch sie hört ihn nicht mehr. Die Herzogin versuchte, frische Luft in ihre Lungen zu pumpen, doch stattdessen war es giftiger Rauch, der sie fast ohnmächtig werden ließ. Ihre letzten Gedanken gehörten dem Kind, das sie in dieser Nacht geboren hatte. Da keimte in ihr ein unbekannter Wille auf und bemächtigte sich ihrer. Sie schöpfte erneut Hoffnung und drängte mit den letzten Resten ihrer Luft zur Türe hin. Sie sah den Ausgang schon vor sich, den sie mit ihren schwachen und zitternden Schritten fast erreicht hatte. Da fühlte sie den festen Griff ihres Mannes am Arm, der sie vor dem Ziel zurückhielt. Kasto grinste sie an und holte mit der Hand aus, um sie zu schlagen. Kurz zuckte er zurück, dann traf sein Schlag ihr Kinn und sie sank getroffen zu Boden. Sie war fast bewusstlos. Als sie vor ihm lag, warf er ihr einen angewiderten Blick zu.
„Bleib dort liegen, Weib. Du taugst zu nichts. Sieben Kinder hast du tot geboren. Alle kurz vor dem Ende der Schwangerschaft und es waren allesamt Jungen. Das einzige Kind jedoch, das überlebt hat, ist ein Mädchen. Ich verachte dich dafür. Du sollst sterben“, sagt er wütend und warf eine Blick auf den Verwalter, der ihn am Arm zog.
„Wir müssen hinaus“, rief er und versuchte, die kraftlose, weinende Frau vom Boden zu heben. Er schaffte es nicht. „Helft mir, Herr. Sie wird sonst verbrennen. Ihr könnt nicht eurer Weib den Flammen überlassen.“
„Doch, das kann ich. Wir beide werden hinausgehen. Lass dich nicht aufhalten, wenn du zu ängstlich bist. Geh ruhig zuerst. Ich komme gleich nach“, sagte Kasto gereizt. Er warf dem Verwalter einen Blick zu, der keinen Zweifel über seine Absichten aufkommen ließ, und darüber, was er von seinem Verwalter erwartete. Der Verwalter schüttelte den Kopf und trat aus der Türe hinaus. Was gingen ihn die Dinge eines Herzogs an. Er wollte nicht wissen, was dort geschah. Doch gleich darauf hörte er einige dumpfe Schläge auf einen Menschenkörper. Er konnte sich denken, wem sie galten. Erbarmungslos schlug der gereizte Herzog auf seine Frau ein. Das war ihr Todesurteil.
„Das ist ihr Ende“, murmelte er vor sich hin, „So stirbt eine tapfere Herzogin. Sie hat diesen Tod nicht verdient.“
„Was murmelst du, Mann?“, fragte ihn einer seiner Leute, als er im Freien stand.
„Nichts“, herrschte ihn der Verwalter an. „Kümmere dich um deine Angelegenheiten. Nässt das Dach, damit es nicht einstürzt.“
„Dafür ist es zu spät, mein Herr. Es hat schon Feuer gefangen. Es brennt lichterloh. Seht doch nur selbst.“
Da sah der Verwalter zum Dach hinauf, das hell lodernd brannte. Und gerade als er zurück laufen wollte, den Herzog zu retten, der auf die Türe zu hastete, stürzten die Balken des Daches ein und verschlossen grausam knisternd den Eingang zu den Stallungen. Der Herzog stand hinter dem brennenden Inferno und sein Blick glitt verwundert auf die Flammen, die sich in Windeseile bis zu ihm fraßen. Der Verwalten und ein Diener starrten gebannt auf den Herzog. Sie sahen den schreienden Mann in Flammen stehen und sich winden, als ein Knarren und Reißen durch das Gebälk zog und sich krachend auf dem Herzog entlud. Gemeinsam mit ihnen stürzte der Mann zu Boden und brannte hell lodernd bis der Stall nur noch einem brennenden Scheiterhaufen glich. Keiner konnte diesem Brand entfliehen und endlich verstummten die verzweifelten Schreie des Herzogs, die über die Flammen hinaus ihren Weg zu ihnen fanden.
Der Brand wurde bis zum Morgen eingedämmt und Falkenweld war gerettet. Als der Verwalter am nächsten Mittag die noch heißen Überreste des Stalles betrat, hoffte er die verkohlten Überreste seiner Herrschaft zu finden, um sie zu beerdigen. Doch die schwarzen Reste des Pferdestalles gaben nur die verbrannten Gebeine des Herzogs frei.
Die Gerippe der Herzogin waren nicht auffindbar und auf dem Gut Falkenweld machte sich nach einige Zeit der Gedanke breit, die Herzogin hätte das Inferno überlebt und wäre aus dem Flammenmeer geflohen und kehrte aus Gram nie mehr wieder.
„So ein dummes Geschwätz. Hört auf damit, diese Geschichten zu spinnen“, versuchte es der Verwalten immer wieder. „Die Hitze der Flammen war so groß, dass sie die Herzogin vollständig verbrannten.“ Er konnte ihnen nicht sagen, dass sie geschlagen und bewusstlos auf dem Boden lag, bevor der Stall über ihr zusammenbrach. Sie war nicht fähig zu fliehen, wie es die Diener hofften, die sich ein besseres Schicksal für ihre stille und freundliche Herrin wünschten. Das Volk blieb bei seiner Fassung der Geschehnisse. Sie ließen nicht ab von ihrer Vorstellung und mit der Zeit wurde es zur Wahrheit im Volk. Dagegen war der Verwalter machtlos. Die Mär wurde hinaus ins Land getragen.
Doch Morwenna hörte davon nichts. Auch später nicht. Denn die Geschichten über ihre Mutter drangen nicht bis Tamweld an den Hof Bornwulfs vor.
Morwenna überlebte in den Armen der Köchin Telja, die das Kind in dieser Nacht sicher barg.
„Sie hat keinen Namen, Telja“, sagte die Hebamme zu ihr, als sie das Kind schlafen sah.
„Dann müssen wir ihr einen geben, Weda. Wir wäre es mit Morwenna? Es kling schön und freundlich. So wie das Wesen des Kindes ist. Siehst du nicht, wie vertrauensvoll sie hier schläft inmitten der Tragödie um ihre Eltern?“
„Ja, sie soll Morwenna heißen. Morwenna von Falkenweld“, murmelte Weda, der alles gefiel, wie es war. Nur nicht der Tod ihrer Herrin, der Herzogin von Falkenweld.
Zwei Tage später wurde das Kind mit seiner Amme nach Tamweld an den Hof geschickt, wo sie als Mündel der Königin Eadgyth aufwuchs und dort ihre schönsten Jahre verbrachte. Bis sie als sechzehnjähriges Mädchen zum ersten Mal Ilari Thorbjörnson begegnete.